Leseprobe von The Toxic Taste of Love

1. Track

 

Mila

Das Glas war kalt.

Und diese Kälte breitete sich langsam, von meiner Stirn ausgehend, in meinen gesamten Körper aus.

Schon seit einer Stunde saß ich auf meiner Sitzbank, lehnte mit dem Kopf am Fenster und beobachtete den Regen. Eigentlich war Sonnenschein vorausgesagt gewesen, doch das Wetter hatte eine andere Entscheidung getroffen.

Es kam mir so vor, als würde die Welt mit mir zusammen weinen wollen. Im Gegensatz zu den Wolken hatte ich aber noch keine Träne vergossen und dass, obwohl heute ihr Geburtstag gewesen wäre. Ganz in Gedanken versunken, beobachtete ich die Tropfen, wie sie längliche Spuren auf dem Glas hinterließen. Meine Augen wanderten weiter, fokussierten den Kirchturm, der hinter dem Haus gegenüber aufragte und die gotische Architektur aufwies, die für Kirchen in Edinburgh typisch waren. Anschließend sah ich hinunter auf die Straße und warf einen Blick auf die unzähligen bunten Regenschirme, die wie in einem Fluss gefallene Blüten einem Strom folgten.

Alle Menschen da draußen wollten so schnell wie möglich nach drinnen, fort von dem anhaltenden Regen.

Kaum zu glauben, dass ich da jetzt rausgehen sollte.

Kurz spielte ich mit dem Gedanken, Eva abzusagen. Nicht nur wegen des schlechten Wetters, sondern, weil ich mich schon lange nicht mehr so miserabel gefühlt hatte.

Schlimmer aber wäre es, den gesamten Abend alleine zu verbringen.

Ich blickte auf meine Armbanduhr.

Es war an der Zeit...

Schwer seufzend erhob ich mich und verließ mein Schlafzimmer.

»Nora, ich bin jetzt weg«, rief ich laut durch den Flur.

Meine Mitbewohnerin antwortete nicht. Wahrscheinlich hatte sie mal wieder ihr Headset auf und sich damit vollständig in die Gamer-Welt zurückgezogen.

Von der Garderobe nahm ich mir meine Regenjacke und zog sie über, ehe ich in meine Dr. Martens schlüpfte. Zum Schluss zupfte ich noch an meinen Kniestrümpfen herum bis sie die richtige Höhe hatten. Dann fehlte nur noch meine Handtasche, die bereits auf der Kommode bereitlag. Mit ihr in der Hand trat ich schließlich aus der Wohnung heraus.

Ehe ich die Tür hinter mir zuzog, warf ich kurz einen Blick in meine Handtasche, um sicherzugehen, dass ich an alles Wichtige gedacht hatte.

Ich erspähte: Portemonnaie, Geld, Schlüssel, Handy und Makeup zum Auffrischen.

Im Erdgeschoss stellte ich jedoch fest, dass ich etwas ziemlich Wichtiges vergessen hatte – meinen Regenschirm.

Zögerlich trat ich an die gläserne Haustür. Der Regen war inzwischen noch heftiger geworden.

Ohne Schirm würde ich völlig durchnässt im Pub ankommen, aber an dem heutigen Tag interessierte mich das kein bisschen. Ich fühlte nämlich nichts bis auf den Stumpfsinn, der mich wie eine schwere Decke einhüllte und meine Emotionen unterdrückte.

Ich wünschte, er wäre nicht wieder so präsent, denn nach dem Tod meiner Mutter, hatte ich sehr lange dafür gebraucht, ihn abzuschütteln und hatte nun Sorge, dass der heutige Tag meine Fortschritte zunichtemachen könnte.

Die Gedanken lenkten mich vollkommen von meiner zu treffenden Entscheidung ab:

Also Schirm ja, oder nein?

Entschlossen drückte ich die kalte Klinke, riss die Tür auf und eilte schutzlos durch den Regen.

***

Meine feuchten Haare klebten mir störend im Gesicht und ich strich sie mit einer schnellen Handbewegung aus meinem Sichtfeld.

Ich stand an einer Ampel und musste nur noch diese Straße überqueren, bevor ich endlich das Pub, vor dem ich mit meiner besten Freundin Eva verabredet war, erreicht hatte. Ihren blonden Haarschopf hatte ich bereits in der Schlange der anderen wartenden Gäste ausgemacht.

Als die Ampel endlich Grün zeigte, rannte ich das letzte Stück und trat an Eva heran.

»Ich habe meinen Regenschirm vergessen«, erklärte ich und zeigte auf meine nassen Haare.

»Das sehe ich«, sagte sie entgeistert.

Sie hob gleich ihren Regenschirm über mich, damit ich auch im Trockenen war. Ich wollte sie zur Begrüßung umarmen, aber sie hielt mich auf.

»Tut mir leid, aber du bist mir eindeutig zu nass.«

»Bist du etwa aus Zucker?«, zog ich sie auf und schüttelte meine Haare.

»Hey«, beschwerte sie sich lachend und hielt schützend ihre Hand vors Gesicht. »Bitte hör auf! Im Gegensatz zu dir steht mir der Wet Look nicht.«

Ich beschloss Eva nicht länger zu quälen und hielt inne. Stattdessen nahm ich ein Zopfgummi aus meiner Handtasche und band mir meine Haare zusammen.

Erst dann nahm Eva ihre Hand herunter.

»Dein Outfit ist übrigens unglaublich«, sagte sie.

Dankbar lächelte ich sie an. Ich hatte mir heute nämlich viel Mühe mit der Auswahl meiner Kleidung gegeben. Ich trug unter einer kurzen schwarzen Shorts eine Strumpfhose mit Blumenmuster. Meine grauen Kniestrümpfe hielten bei dem Wetter nicht nur warm, sondern waren noch ein besonderer Hingucker. Als Oberteil hatte ich mich für ein anthrazitfarbenes Tanktop im Oversize Look entschieden. Auch mein Makeup war heute aufwendiger gewesen als sonst, denn je schlechter es mir ging, desto weniger sollte es mir anzusehen sein, ähnlich wie eine Maskerade.

Dennoch war Eva eindeutig die Hübschere von uns beiden. Mit ihren langen Beinen konnte sie jedem Model Konkurrenz machen, genau wie mit den glänzenden blonden Haaren, die ihr bis über die Schultern reichten. Außerdem besaß sie wunderschöne blaue Augen und eine strahlend ebenmäßige Haut.

Ich hatte zwar auch sehr reine Haut, aber dafür war ich mit unzähligen Sommersprossen übersät, die sich hauptsächlich auf meiner Nase und den Wangenknochen versammelten.

Eva sagte oft, sie sähen so aus, als würden sie auf meinem Gesicht eine Party feiern und ich hoffte jedes Mal, es wäre eine Abschiedsparty. So sehr nervten sie mich.

Kurz wanderte mein Blick nach vorne und sah zu dem grimmig dreinblickenden Türsteher, der den Einlass des Pubs beaufsichtigte. Er setzte gerade ein Häkchen auf die Liste und die Schlange rückte ein ganzes Stück weiter nach vorn, als er eine Vierergruppe reinwinkte.

»Kaum zu glauben, dass Michael uns auf die Gästeliste vom Konzert der Scots setzen konnte, obwohl er nur ein unbedeutender Chefredakteur der Unizeitung ist«, meldete sich Eva zu Wort.

Wann immer ich diesen Namen hörte, musste ich mir ein Augenverdrehen unterdrücken.

»Michael und unbedeutend?! Immerhin ist er der jüngste Chefredakteur in der Geschichte der University of Edinburgh und dank ihm gehört die Edinburgher Gazette zu den besten fünf Unizeitungen im Vereinten Königreich.« Ich zog eine Grimasse, als ich sein Eigenlob wiedergab und Eva lachte.

»Hat er dir eigentlich schon eine Antwort gegeben, wegen der Leitung des Kulturteils?«, wollte meine Freundin wissen.

»Nicht wirklich.« Ich zog meine Nase kraus. »Er meinte bloß, ich solle mich bereithalten. Keine Ahnung, was das bedeutet.«

»Am besten, du redest nochmal mit ihm. Zeige ihm deutlich, dass du nicht länger vertröstet werden möchtest.«

»Klar, weil ich das so gut kann«, spottete ich. »Schon vergessen? Nicht ich bin die Selbstbewusste von uns beiden.«

»Und ich verstehe absolut nicht warum. Du bist hübsch, klug und deine Artikel sind der Wahnsinn. Du hättest diese Stellung in der Uni-Zeitung mehr als verdient.«

Ich presste unsicher die Lippen zusammen.

»Überlege es dir bitte«, flehte sie und ich nickte zögerlich.

Als weitere Menschen in das Pub reingelassen wurden, rückten wir noch ein Stück vor und traten unter die ausgezogene Markise.

»Wie sind eure heutigen Besichtigungen eigentlich gelaufen? Habt ihr einen neuen Mitbewohner gefunden?«, wechselte Eva das Thema und faltete ihren Regenschirm zusammen.

»Leider nein.« Ich seufzte schwer, als ich an den Nachmittag zurückdachte. »Es gibt niemanden, der die Ansprüche von Nora erfüllt. Kannst du dir vorstellen, dass sie heute einem Mädchen abgesagt hat, nur weil sie gerne bastelt?! Sie befürchtete nämlich, dass die Wohnung ständig nach Kleber riechen würde, wenn sie bei uns einzöge.«

Eva schüttelte fassungslos den Kopf.

»Wie hast du es damals eigentlich geschafft, sie von dir zu überzeugen?«, fragte sie.

»Ich habe sie mit Lasagne bestochen«, gab ich zu. »Das mache ich teilweise heute noch, sobald ich sie um einen Gefallen bitte.«

»Tja, wenigstens kennst du ihren Schwachpunkt. Ich versuche bereits seit Monaten vergebens, Charlie zu überzeugen, den Abwasch zu machen, bevor das Essen anfängt zu schimmeln. Ganz gleich, ob ich ihn bitte, anzicke oder einen toten Pferdekopf in sein Bett lege, es klappt nicht.«

Ich lachte. »Ein toter Pferdekopf?! Du schaust eindeutig zu viele Mafia-Filme.«

»Name?«, wurden wir schroff vom Türsteher unterbrochen.

»Mila Meyer und Eva Glavin«, antwortete Eva mit einem zuckersüßen Lächeln. Eigentlich wurde da jedes Männerherz schwach, aber der Türsteher blieb mürrisch. Schließlich studierte er das Klemmbrett und schickte uns rein.

Eva stemmte die schwere Holztür auf und endlich ließen wir die Kälte und den Regen hinter uns, um von angenehmen Temperaturen sowie warmen Holztönen empfangen zu werden.

Es war das erste Mal, dass ich mich im Old O`Neil befand. Doch wie andere schottische Pubs, war es sehr rustikal und gemütlich eingerichtet. Die völlig aus Holz bestehende Bar war das Kernstück des Raums und um diese hatten sich auch die meisten Gäste versammelt. Ansonsten war die Fläche vor der Bühne für das heutige Konzert freigeräumt worden. Keine Tische oder Stühle weit und breit.

»Wollen wir uns ein Bier holen?«, fragte Eva und ich nickte. Daraufhin kämpften wir uns durch die Menschenmenge. Die Männer, die wir dabei passierten, warfen Eva neugierige Blicke zu und das Lächeln, dass sich dann auf ihre Lippen legte, zeigte, dass sie die Aufmerksamkeit genoss. Ich dagegen blieb lieber unsichtbar. Eine von vielen Eigenschaften, die ich mir angeeignet hatte, während ich mit Eric zusammen gewesen war.

Kaum war Eva an die Bar getreten, wurde sie auch schon vom Barkeeper bedient und mit unseren Bieren in der Hand suchten wir uns in der Nähe der Bühne noch ein freies Plätzchen. Kaum, dass wir angestoßen hatten, ertönten die ersten Gitarrenklänge. Eva und ich brachen in Jubel aus, als die Band erschien und auch der Empfang der restlichen Gäste war euphorisch.

***

Die Lichter der Bühne blinkten und heizten dem Publikum weiter ein. Schon jetzt war ich vollkommen verschwitzt, dennoch tanzte ich weiter, schneller, wilder.

Evas Lachen drang über die Musik zu mir her. Sie tanzte in der Menge genauso ausgelassen wie ich und deswegen liebte ich es, Konzerte mit ihr zu besuchen. Wir hatten immer unglaublich viel Spaß.

In solchen Momenten konnte ich meine Schwermut vergessen und wieder die Musik, die früher so ein großer Teil meines Lebens gewesen war, in vollen Zügen genießen.

Die Show von den Scots war unvergleichlich. Sie ließen sich von der Stimmung des Publikums gänzlich mitreißen und all die Emotionen flossen in die Stimme des Frontsängers mit ein.  Völlig überschwemmt von dieser Atmosphäre begannen sich plötzlich meine Lippen zu bewegen und Töne wurden durch meine Stimmbänder geformt. Ich begann zu singen und eigentlich wäre das keine große Sache. Jedenfalls nicht für andere Menschen.

Doch für mich war es etwas Besonderes, ja sogar etwas Spektakuläres. Denn das letzte Mal, als ich so richtig gesungen hatte, war vor zwei Jahren gewesen. Damals hatte meine Mutter noch gelebt und ich war nicht von traurigen Erinnerungen heimgesucht worden, sobald ich mich der Musik hingab. Jetzt aber, trotz ihres Geburtstags, fühlte ich mich gut. Geradezu stark und frei. Genau wie ich mich früher beim Singen gefühlt hatte. Diese Emotionen ermutigten mich und ich wurde lauter, verlor mich regelrecht in meinem Glück.

Nur leider hielt das nicht lange an. Wie Blitze schossen Momentaufnahmen von vergangenen Augenblicken auf mich ein und ich begann zu stottern. Ich versuchte gegen die Erinnerungen anzukämpfen, doch je mehr ich das tat, desto schlimmer wurden sie. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie mich meine Mom, als ich noch klein war, jeden Abend in den Schlaf gesungen hatte. Ich sah wie wir gemeinsam für einen Talentwettbewerb der Schule geübt hatten und ich sah, wie sie voller Begeisterung klatschte, als ich das Solo im Chor beendet hatte. Sie war nicht nur meine Mom gewesen, sondern meine Gesangslehrerin sowie mein größter Fan. Ihre Unterstützung hatte in mir eine Stärke geweckt, die ich heute sehr vermisste.

Mir blieb die Luft weg und ich verstummte augenblicklich. Mein Herz polterte plötzlich in meiner Brust und, obwohl ich heftig ein- und ausatmete, hatte ich das Gefühl zu ersticken. Ich hörte auf zu tanzen und dennoch drehte sich die Umgebung um mich herum. Sofort wusste ich, was los war – ich stand kurz vor einer Panikattacke.

Wieder.

Evas Lächeln erstarb. Sie schien zu wissen, dass etwas nicht mit mir stimmte. Sie trat zu mir heran.

»Ist irgendwas?«, fragte sie besorgt. Sie musste schreien, um die Musik zu übertönen.

»Nichts«, log ich. »Ich brauche nur frische Luft.«

»Dann gehen wir kurz raus«, schlug sie vor.

»Nein, bitte bleib hier. Sonst verpasst du noch deinen Lieblingssong«, wimmelte ich sie ab. Ich wollte lieber alleine sein. Niemand sollte Zeuge meiner Panikattacke werden.

»Ich komme gleich wieder«, versprach ich und bahnte mir sogleich den Weg zum Ausgang.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich mich durch die Körper der Menge kämpfte, die mir in diesem Augenblick wie eine unüberwindbare Mauer vorkamen. Ohne Rücksicht zu nehmen, drängelte ich mich an dieser Masse vorbei, während meine Angst in mir tobte und sogar noch anschwoll. Erst als ich endlich durch den Ausgang getreten war und die kühle Nachtluft mir entgegenschlug, bekam ich wieder Luft.

Ashton

Meine heutige Eroberung stöhnte, als ich an ihrem Ohrläppchen knabberte und brachte mich damit noch mehr auf Touren. Meine Hand wanderte unter ihr Bikini-Oberteil und ich presste sie enger an die Wand des Pools. Die Geräusche der anderen Partygäste nahm ich kaum mehr wahr, genau wie die laute Musik, die gespielt wurde, dafür war ich einfach zu sehr in meinem Verlangen gefangen.

Während meine Finger ihre Brust massierten, ging mein Mund auf Wanderschaft.

»Ashton, ich … ich«, fing sie an zu stottern und schmeichelte damit meinem Ego. Ich mochte es sehr Frauen in solche Ekstase zu bringen, so, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnten. Die Frau, deren Hals ich gerade mit auffordernden Küssen benetzte, war mir schon von Beginn an aufgefallen. Denn mit ihren Sommersprossen und dem frechen Lächeln hatte sie mich an eine alte Freundin erinnert. Leider stellte ich im weiteren Verlauf fest, dass sich die Gemeinsamkeiten nur auf das Äußere beschränkte. Aber ich war nicht hier auf einer Party von Benjamin um zu plaudern.

Nein, ich wollte vergessen.

Wenigstens für ein paar Stunden mal nicht an mein anhaltendes Versagen denken und den Druck, der mich kaum atmen ließ.

Als ich sie in die Kuhle zwischen Hals und Schulter biss, bog sie sich mir entgegen und ich war drauf und dran sie im Pool zu nehmen, vor den Augen aller. Doch dann machte sie ihren Mund auf und zerstörte damit alles.

»Ashton, davon habe ich geträumt, seit ich dich zum ersten Mal im Fernsehen gesehen habe. Es klingt vielleicht bescheuert, aber ich bin schon lange in dich verliebt.«

Ich schreckte zurück, so als ob ich mich verbrannt hätte.

Fassungslos schaute ich sie an. Die Frau, bei der ich mir noch nicht einmal die Mühe gemacht hatte, mir ihren Namen zu merken, hatte mir doch nicht etwa gerade ihre Liebe gestanden?

Mir wurde augenblicklich übel. Natürlich war mir aufgefallen, dass sie mich erkannt hatte, aber niemals hätte ich damit gerechnet, dass sie ein besessener Fan wäre.

»Was ist los?«, wollte sie wissen.

Konnte sie sich das nicht denken?

»Du kennst mich gar nicht. Wie kannst du da von Liebe sprechen?«, warf ich ihr vor.

Sie näherte sich mir und ihr Blick verhakte sich in meinem.

»Natürlich kenne ich dich, Ashton. Du bist ein leidenschaftlicher Musiker, der nicht nur eine wahnsinnig gute Stimme hat, sondern auch unglaubliche Songs schreibt.«

Das war mal so, dachte ich bitter.

»Außerdem bist du, wie ich, ein Familienmensch und glaubst an die wahre Liebe.«

Sie zählte gerade die Dinge auf, die ich von meiner PR-Agentin kurz vor Interviews eingeflüstert bekommen hatte, um genau solchen Frauen wie ihr vorzutäuschen, dass ich zu den Guten gehörte.

Anscheinend hatte das grandios funktioniert.

Ich legte meinen Kopf schief. »Wie war nochmal dein Name?«, fragte ich. Meine Worte hatten die gewollte Wirkung -schockiert riss sie den Mund auf.

»Ich heiße Samantha«, erinnerte sie mich beleidigt.

»Ach ja, richtig. Dann hör mir jetzt genau zu, Samantha. Ein Uns wird es niemals geben. Ich binde mich nie an eine Frau, eher sterbe ich.«

Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als diese drastischen Worte zu benutzen und hoffte, ihr damit verständlich zu machen, wie wenig ich mir aus ihr machte. Tatsächlich weiteten sich ihre Augen, so als ob die Erkenntnis in ihr aufgeblitzt war, dass sie sich in mir geirrt hatte.

Samantha wollte noch etwas sagen, aber dann ergoss sich plötzlich ein heftiger Regenschauer über uns.

Die Menschen um uns herum stießen verwunderte Laute aus und flohen aus dem Pool. Auch Samantha hatte sich an dem Rand hochgestemmt und rannte eiligst zum Haus. Sie schaute kein einziges Mal zurück.

Gut so.

Ich dagegen verblieb als einziger in dem Wasserbecken und blickte hinauf zum Himmel.

So ein starker Regen war nicht typisch für L.A., besonders nicht im Mai.

Während die kalten Tropfen auf mein Gesicht prasselten, konnte ich nicht fassen, wie knapp ich einer Katastrophe entgangen war. Ja, ich hatte nichts sehnlicher gewollt, als meinen Frust bei einer guten Nummer abzubauen.

Aber nicht bei einer, die mir nach dem Vögeln einen Heiratsantrag gemacht hätte.

***

Nachdem ich noch eine Weile im Pool verharrt hatte, begab ich mich nun auf die Suche nach einem bekannten Gesicht.

Als ich durch die Terrassentür ging, ließ ich meinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen, doch ich fand weder meinen Kumpel Benjamin noch meinen Bandkollegen Conner. Glücklicherweise war auch Samantha nicht zu sehen. Auf eine zweite Begegnung mit ihr konnte ich getrost verzichten.

Ich begann durch das Haus zu streifen, holte mir in der Küche noch einen Whiskey und zurück im Flur sah ich endlich die braunen Locken von Conner, der aus der Toilette trat.

»Ey Conner«, rief ich ihm zu und er blieb wie angewurzelt stehen. Als er sich umdrehte, blickte ich in gläserne Augen.

Wie viel hatte er schon getrunken?

»Bist du schon mit der Kleinen fertig?«, wollte er wissen und fuhr sich nervös durch die Haare.

»Nicht so wie du denkst«, antwortete ich. Fragend blickte er mich an.

»Sie hat mir ihre Liebe gestanden und dann habe ich sie abblitzen lassen.«

Conner schnaubte belustigt. »Fuck, Liebesgeständnisse sind voll die Lustkiller.«

»Und was hast du so getrieben?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich wollte eigentlich gerade gehen. Die Party ist lahm. Außerdem kenne ich hier niemanden.«

Conners Artikulation war noch völlig in Ordnung. Das erleichterte mich.

»Wo ist denn Benjamin?«, fragte ich.

»Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, ist er Arm in Arm mit zwei Frauen in Richtung Schlafzimmer abgezogen.«

»Na dann werden wir ihn wohl nicht so schnell wiedersehen.« Ich trank einen Schluck von meinem Whiskey.

»Und für dich war niemand dabei?«, wollte ich wissen.

Er presste seine Lippen zusammen und sein Ausdruck sprach Bände.

»Conner, Lisa und du, ihr habt euch getrennt. Du solltest langsam versuchen über sie hinwegzukommen.«

»Das hat sie auch gesagt.«

Verdutzt schaute ich ihn an.

»Ich habe gerade mit ihr telefoniert«, erklärte er.

»Was?! Du hast sie gerade angerufen? Mann, das ist gar nicht gut.« Ich schüttelte den Kopf.

Deswegen sah er so scheiße aus. Er hatte geheult. Nachdem Lisa ihn mal wieder abgewiesen hatte.

»Ich weiß«, sagte er beschämt. »Aber ich kann mich einfach nicht von ihr fernhalten. Ich liebe sie, Mann.«

Schon wieder kamen ihm die Tränen.

Ich wusste nicht genau, wie ich ihm Trost spenden sollte, denn ich konnte seine Situation nicht nachvollziehen. Ich war noch nie verliebt gewesen, dementsprechend hatte ich auch noch nie Liebeskummer gehabt.

Ich klopfte ihm unbeholfen auf den Arm. »Ach, fahr noch nicht nach Hause, lass uns lieber noch etwas trinken.«

Ich legte meinen Arm um die Schulter und führte ihn in die Küche.

***

Als mein Handy in meiner Jeans vibrierte, riss ich erschrocken die Augen auf. Schwarzes Holz und mein Notizbuch tauchten in meinem Blickfeld auf.

Ich war tatsächlich beim Songschreiben eingeschlafen. Inzwischen hatte das Vibrieren aufgehört und ich hob meinen Kopf.

»Autsch«, stieß ich aus und rieb mir meinen brennenden Nacken, während die Bilder der letzten Nacht in meinem Verstand aufflackerten. Erst war ich bei Benjamins Party gewesen, hatte Samantha, deren Namen ich wohl nie wieder vergessen werde, nach ihrer Liebeserklärung abblitzen lassen und dann musste ich Conner trösten, weil seine Exfreundin ihn wieder einmal abgewiesen hatte.

Kurz nach zwei hatte ich mich auf den Weg nach Hause gemacht und bei ein paar Gläsern Whiskey versucht, einen neuen Song zu schreiben. Leider war dabei nichts Gutes herausgekommen. Mein Blick wanderte zu den vielen durchgestrichenen Zeilen. Sie schienen mich zu verhöhnen und hielten mir mein Versagen deutlich vor Augen.

Ich konnte keine brauchbaren Songs mehr schreiben.

Schon eine ganze Weile nicht.

Ratlos starrte ich auf das aufgeschlagene Notizbuch und wusste nicht, was ich tun sollte. Alle verließen sich auf mich. Die Plattenfirma, die Jungs, meine Familie sowie die Fans. Das neue Album sollte in weniger als vier Monaten herauskommen und ich hatte nichts.

Rein gar nichts.

Mein ganzer Körper spannte sich an, verkrampfte sich geradezu, als da plötzlich wieder dieses schwere Gewicht auf meiner Brust lag. Wieder einmal war ich völlig gelähmt von diesem Gefühl, das mich einerseits wütend machte und mir andererseits eine Heidenangst einjagte.

Ich blickte auf die Flasche Whiskey und ehe ich mich versah, füllte ich mir einen Schluck in das danebenstehende Glas ein.

Ich kippte den Inhalt des Glases herunter und erst dann ging es mir besser.

Danach holte ich mein Handy heraus und sah, dass mich mein Manager fünfmal versucht hatte anzurufen. Schnell rief ich ihn zurück.

»Ashton, endlich«, sagte er erleichtert. »Sag mal, wo steckst du, wir haben gleich das Meeting mit der Plattenfirma?«

»Scheiße, ich habe voll verschlafen.« Ich rieb mir die Nasenwurzel, während ich vom Stuhl aufstand.

»Gestern wieder zu viel gefeiert oder was? Ich meine, ich bin der letzte, der etwas gegen Partys und Rumvögeln hat, aber darunter darf nicht deine Arbeit leiden.«

»Ich weiß«, sagte ich gereizt.

»Also wann kannst du hier sein?«

Ich überschlug grob den Fahrtweg von meinem Haus zur Plattenfirma und wie lange ich brauchen würde um vorzeigbar auszusehen.

»Gib mir eine halbe Stunde.«

»Uff, ich versuche mein Möglichstes, aber ich weiß nicht, ob ich Mel so lange hinhalten kann.«

»Setz einfach deinen Charme ein.«

»Als ob mein Charme Mel Morrison besänftigen könnte!«

Ich verdrehte die Augen. »Tu einfach dein Bestes. Schließlich bezahlen wir dich dafür«, sagte ich, ehe ich auflegte.

In Windeseile duschte ich, putzte mir die Zähne und zog mich an. Meine nassen Haare band ich hinten im Nacken zusammen, während ich die Treppe nach unten heruntereilte.

»Barbara«, rief ich nach meiner Haushaltshilfe.

»Ja, Sir.« Die etwas beleibtere Frau erschien mit einem Küchentuch in der Hand im Türrahmen der Küche.

»Wo ist Winston?«, wollte ich wissen.

»Er poliert auf der Einfahrt den Bentley. Soll ich ihn holen, Sir?«

»Nein, danke.« Schnell schlüpfte ich in meine Schuhe. »Ich bin jetzt weg. Wenn was ist, bin ich wie immer auf meinem Handy zu erreichen.« Dann setzte ich meine Sonnenbrille auf und trat hinaus in die Sonne von Los Angeles.