Leseprobe zu Diamond Dates – For Millionaires only!

Prolog

 

Sie

 

Manchmal ist es nur ein Moment, ein Bruchteil einer Sekunde und plötzlich ist dein Leben völlig auf den Kopf gestellt.

In meinem Fall war es ein Blick … blaue Augen, die wie eine undurchdringliche Schicht Eis wirkten.

Lio Milesteen … ist der Inbegriff des Typ Mannes, dem ich schon lange abgeschworen habe.

Er ist reich, arrogant und leidet unter einem unheilbaren Kontrollzwang.

Dennoch kann ich mich ihm und seiner einnehmenden Art nicht entziehen.

Wegen ihm vergesse ich meine Prinzipien, wegen ihm vergesse ich, dass ich nie wieder Teil dieser Welt sein wollte, wegen ihm vergesse ich meine Grenzen.

Seine heiß brennende Leidenschaft bringt mich dazu.

Je näher ich ihn kennenlerne, desto mehr bemerke ich, dass sein Drang nach Kontrolle eine Rüstung ist, die nur einem Zweck dient – dem Selbstschutz. Aber wird er sie jemals ablegen? Kann ich das über Jahre gebildete Eis in seinem Herz durchbrechen oder wird es sich sogar noch verdichten, wenn er die Wahrheit über mich erfährt?

Es war nicht geplant, mich in ihn zu verlieben und dennoch ist es geschehen.

Und mit diesen Gefühlen kam die Angst. Die Angst davor, verletzt zu werden.

Wird diese Liebe mich heilen oder brechen? Auf diese Frage habe ich keine Antwort. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich Lio Milesteen nicht entfliehen kann, ganz gleich, wie sehr ich es versuche.

 

 

 

1. Kapitel

Sie

 

»Bitte Lou, bitte begleite mich zum Diamond Date nächsten Samstag«, flehte meine beste Freundin Sam, während ich mir gerade ein Stück Sushi in den Mund schob.

Kauend schüttelte ich den Kopf.

»Komm schon, gib dir einen Ruck.«

»Ich kann nicht zum Diamond Date gehen«, antwortete ich, nachdem ich den Bissen heruntergeschluckt hatte. »Wie du weißt, bin ich weder reich noch besitze ich einen Adelstitel.«

»Ich habe dir bereits gesagt, dass das kein Problem ist. Du trägst den Mädchennamen deiner Mutter. Niemand wird wissen, dass du die Tochter von Ryan Murphy bist, und um den Rest kümmert sich meine Freundin. Sie ist dieses Jahr für die Einladungen der Partnervermittlung verantwortlich«, ließ sie meine Ausrede nicht gelten.

Ich seufzte schwer. Es war nicht leicht meiner hartnäckigen Freundin etwas abzuschlagen, besonders wenn sie mich mit Sushi und Wein, mitgebracht aus meinem Lieblingsrestaurant, bestach. Aber mir graute es davor, an dem Auftakt einer Verkupplung teilzunehmen, auf der Reiche nach anderen Reichen zum Heiraten suchten.

Schon lange gehörte ich nicht mehr diesem Kreis der Gesellschaft an und dank den illegalen Geschäften meines Vaters würde ich es auch nie wieder tun.

»Warum ist es dir so wichtig, dass ich mitkomme?«, fragte ich.

»Weil du meine beste Freundin bist und ich dich an meiner Seite brauche. Immerhin ist das mein erstes Diamond Date. Ich möchte nicht alleine hingehen.«

»Und was ist mit Gabby und Rachel, deinen ehemaligen Kommilitoninnen aus Oxford? Sie werden sicherlich auch zum Maskenball eingeladen.«

»Mit ihnen macht es aber nicht so viel Spaß wie mit dir. Bitte, bitte tue mir den Gefallen!« Sie faltete ihre Hände flehentlich zusammen und ich musterte meine Freundin kurz.

Für mich war Sam der Inbegriff von Schönheit. Ihre dunkle Haut und die dunkelbraunen Haare, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, die aus Amerika stammte, ließen sie strahlen. Doch besonders mochte ich ihre grünbraunen Augen, die sie von ihrem britischen Vater hatte und an Intensität nicht zu übertreffen waren. Hinzu kam, dass ihre Figur eine Grazilität aufwies, die mich jedes Mal aufs Neue neidisch machte.

Eigentlich war sie durch ihr Aussehen gar nicht auf diese Single-Partys, die ab jetzt einmal im Monat bis zum Herbstende stattfanden, angewiesen. Schon unabhängig davon hatten unzählige Söhne aus gut situierten Familien Interesse an ihr bekundet. Aber Sam wollte sich noch nicht festlegen, lieber wollte sie jede Erfahrung mitnehmen.

»Möchtest du nicht wissen, wie diese Partnervermittlung der Agentur Gardner & Aubery genau abläuft? Außerdem gibt es Essen und Drinks umsonst.«

Ich pikte ein Reiskorn mit dem Zeigefinger vom Tisch auf und legte es auf meinen Teller.

Ein bisschen neugierig war ich schon, was sich hinter den Kulissen der Diamond Dates abspielte. Laut den Gerüchten wandte die Partnervermittlungsagentur ausgefallene Methoden an, um Paare zueinanderfinden zu lassen. Aber diese Neugier konnte nicht über meine allgemeine Aversion gegen die eingeladenen Gäste gewinnen. Die Wohlhabenden hatten alle nur das eine Ziel: Noch reicher und mächtiger zu werden. Ganz egal, ob sie dafür über Leichen gehen mussten.

Woher ich das wusste? Mein Vater war genauso gewesen und seine Geldgier hatte uns nicht nur unser Vermögen gekostet und seine ahnungslosen Kunden in den Ruin getrieben, sondern auch mein Leben in tausend Scherben zerschlagen.

Seitdem machte ich einen großen Bogen um diese Welt.

Die einzige Ausnahme war Sam, meine älteste Freundin. Wir waren wie Pech und Schwefel. Dennoch stellte ich in letzter Zeit fest, dass unsere verschiedenen Leben die Freundschaft zwischen uns immer mehr belasteten.

Während sie am Wochenende gesellschaftliche Ereignisse der High Society von London besuchte, ging ich am liebsten in das Pub um die Ecke. Und das hatte zur Folge, dass wir nur noch selten Zeit miteinander verbrachten.

»Außerdem waren wir schon so lange nicht mehr aus.« Sam zog eine Schnute.

Jetzt hatte sie mich.

Ergeben hob ich die Hände. »Du hast Recht, wir waren wirklich schon lange nicht mehr aus.«

Ich seufzte schwer, denn es kostete mich einiges an Überwindung, die nächsten Worte zu sagen: »Gu … Gut, ich komme mit.«

Sie riss die Hände nach oben und wollte gerade losjubeln. »Aber«, stoppte ich sie. »du musst mir eins versprechen. Egal was passiert, du darfst mich nicht alleine lassen.«

»Nein, natürlich nicht. Versprochen!«

»Und«, fügte ich noch hinzu. »das ist das einzige Diamond Date, an dem ich teilnehme. Bei den anderen musst du gar nicht erst versuchen, mich zu überzeugen.«

Sie nickte, sprang danach auf und fiel mir um den Hals.

»Danke, danke, danke«, sagte sie und gab mir unzählige Küsschen auf die Wange.

 

***

 

Als Sam weg war, räumte ich schnell das Geschirr in die Spülmaschine und wischte mit dem Lappen über den Esstisch. Seitdem ich mich einverstanden erklärt hatte, zum Maskenball mitzukommen, hatte sich ein flaues Gefühl in meiner Magengegend eingenistet.

Natürlich tat ich meiner besten Freundin gerne einen Gefallen. Dennoch konnte ich nicht die Befürchtung abschütteln, dass dieser Abend für mich zu einer Tortur werden könnte.

Was wäre, wenn ich auf meine ehemalige Clique treffen würde oder noch schlimmer … auf meinen Exfreund?

Also auf die Menschen, die mich nicht nur hatten fallen lassen, sobald herausgekommen war, dass mein Vater Geld veruntreut hatte, sondern mir meine restliche Schulzeit durch ihre Ablehnung und ihren Spott zur Hölle gemacht hatten.

Aber dann fiel mir ein, dass die Gäste, mich eingeschlossen, auf dem Ball eine Maske tragen würden. Keiner von ihnen würde mich erkennen. Trotzdem verschwand mein Unwohlsein nicht. Ich hatte das Gefühl, mich ihnen auszuliefern, denen, die in meiner Seele tiefe Wunden hinterlassen hatten.

Plötzlich klirrte es und Wasser übergoss sich auf der Holzplatte. Ich hatte ein Glas übersehen und war versehentlich mit meiner Hand dagegen gestoßen. Ich fluchte und wischte schnell das Wasser auf, ehe es vom Tisch heruntertropfen konnte.

Sobald der Tisch sauber war, trat ich an das große Altbaufenster heran und zog die Stoffgardinen zu.

Anschließend machte ich mich auf den Weg in mein Arbeitszimmer. Wenigstens für eine Stunde wollte ich noch an einem neuen Entwurf für ein Kleid arbeiten, das perfekt in die nächste Herbstkollektion von ZM, dem Modekonzern, bei dem ich als Designerin arbeitete, passen würde.

Die weißlackierte Tür knarzte, während ich sie öffnete. Danach betätigte ich den Lichtschalter.

Sam nannte diesen Raum das Zimmer des Wahnsinns. Für mich aber herrschte in meinem Nähzimmer ein kreatives Chaos, ohne dass ich nicht leben konnte.

Ich trat hinein und schlängelte mich vorsichtig an unzähligen Türmchen von aufgestapelten Büchern über Modedesign vorbei.

Schließlich passierte ich den großen Tisch, auf dem ich eigentlich Stoffe abmaß und zurechtschnitt, aber im Moment standen dort eine Vielzahl von Plastikboxen mit Knöpfen und Nähgarn herum.

Dann war da noch die Meterware, die aufgerollt an Möbeln und Wänden lehnte, weil es in den für sie vorgesehenen Regalen keinen Platz mehr gab.

Vorsichtig schob ich meinen Schreibtischstuhl zurück, damit die Stoffrollen, die von meinem Schreibtisch gestützt wurden, nicht umfielen.

Als ich mich gesetzt hatte, griff ich zu meinem Bleistift und Zeichenblock und begann meine Idee, die mir heute beim Frühstück gekommen war, umzusetzen.

Während viele meiner Kollegen alles digital anfertigten, zog ich es vor, mit Papier zu arbeiten. Dabei war mein Ablauf stets derselbe: Erst fertigte ich einen groben Entwurf meiner Idee an, dann spielte ich mit der Skizze, erstellte Variationen und wählte die eine aus, die mir am besten gefiel. Anschließend tauchte ich die Kleidung samt dem Model in Aquarellfarbe.

Sobald ich den Bleistift auf das Papier aufgesetzt hatte, waren meine Probleme vergessen, so sehr war ich in meinem Element. Das Designen von Kleidung war seit frühester Kindheit meine Leidenschaft und nach wie vor machte es mir unglaublich viel Spaß.

Trotzdem war die Arbeit für ZM nicht immer einfach. Das Label war auf Businesskleidung spezialisiert. Geradlinige Schnitte und dunkle Farben dominierten ihren Stil.

Da ich aber sehr die Boho- und Vintagemode mochte, war es schwer, stets die Vorgaben des Chefdesigners umzusetzen. Auch heute erwischte ich mich dabei, wie ich plötzlich an dem Kragen des Kleides verspielte Spitze hinzufügte. Jetzt half nur noch der Radiergummi.

Ich fegte gerade mit der Hand die Krümel des Radierers von meinem Papier weg, als plötzlich mein Handy auf dem Tisch vibrierte.

 

Sam: Hast du dir schon überlegt, was du zum Ball anziehen möchtest?

 

Schockiert starrte ich auf mein Handy. Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Ein Ballkleid für diese Art von Veranstaltung durfte nicht von der Stange stammen und war entsprechend teuer. So etwas konnte ich mir von meinem bescheidenen Gehalt kaum leisten.

 

Ich: Kann ich noch absagen?

 

Sam: Nein! Ich kann dir gerne etwas leihen…

 

Das Angebot von ihr war zwar nett gemeint, aber ich bezweifelte, dass ich in eines von Sams Kleidern passen würde. Während meine Kurven für eine Konfektionsgröße M bestimmt waren, trug sie Zero.

Das bedeutete, ich hatte ein Problem…

Aus dem Augenwinkel nahm ich plötzlich die Schneiderpuppe wahr, die am Fenster neben meiner Nähmaschine stand.

Sie war eingehüllt mit meiner Uni-Abschlussarbeit, die mir nicht nur eine gute Note eingebracht hatte, sondern auch hervorragend zu einem Ball passen würde.

Ich drehte meinen Kopf und musterte eingehend das blaue Samtkleid.

Das Oberteil erinnerte an ein schulterfreies Korsett, auf dem unzählige Strasssteine glitzerten. Außerdem ragte verspielte Spitze aus dem oberen Saum hervor und umschmeichelte wundervoll das Dekolleté sowie die Rückenpartie.

Der Rock dagegen war, wie für ein A-Linien Kleid typisch, weit und reichte bis zum Boden. Das Besondere daran war, dass er an den Seiten Taschen besaß. So wirkte er moderner.

 

Ich: Vielen Dank für dein Angebot, aber ich habe das perfekte Kleid.

 

Ich machte ein Foto davon und schickte es ihr.

 

Sam: Aber natürlich … deine Abschlussarbeit! Du bist wirklich eine begnadete Designerin <3

Ach übrigens, meine Freundin, die für die Diamond Dates arbeitet, hat mir einen Fragebogen gemailt, den du bitte noch heute ausfüllen musst. Er ist schon in deinem Posteingang.

 

Ich wünschte Sam noch eine gute Nacht und legte meinen Zeichenblock beiseite. Stattdessen schnappte ich mir voller Neugier meinen Laptop und öffnete die Mail von Sam. Kopfschüttelnd ging ich die ersten Fragen durch und wusste nicht, wie die Antworten darauf der Partnervermittlung helfen sollten, einen geeigneten Mann für mich zu finden. Ganz davon abgesehen, dass ich gar keinen Mann suchte, der an den Diamond Dates teilnahm. Für Sam jedoch begann ich, den Fragebogen auszufüllen.

 

 

 

Er

Meine Augen wanderten im Spiegel von meinen glattrasierten Wangen, über die hervorragend sitzende Frisur, bis hin zu dem maßgeschneiderten Anzug, der sich tadellos an meinen trainierten Körper anschmiegte.

Kein Makel war zu erkennen, bloße Perfektion, eine Perfektion, die den äußeren Schein aufrechterhielt und über meinen düsteren Seelenzustand hinwegtäuschte.

Nur einmal war mir ein Fehler unterlaufen. Ein Fehler namens Catherine. Die Frau, die heute mit meinem Erzeuger vor den Altar treten würde, war die einzige gewesen, die ich je geliebt hatte und eben diese Gefühle waren mir zum Verhängnis geworden.

Plötzlich wurde die Tür hinter mir geöffnet.

»Bist du bereit? Die Hochzeit geht gleich los.«, wurde ich von meinem besten Freund, Noah, aus den Gedanken gerissen.

»Fertig ja, bereit nicht«, erwiderte ich und zog die Hemdsärmel zurecht, sodass die Manschettenknöpfe gut zu sehen waren. Ich atmete tief ein und verdichtete die Mauer, die meine Emotionen verschlossen hielt.

Schließlich riss ich mich von meinem Spiegelbild los und folgte Noah zum Saal, in dem gleich die Zeremonie stattfinden würde.

Während mein Kumpel in einer Sitzreihe für die Gäste Platz nahm, eilte ich über den weißen Teppich nach vorn und stellte mich neben meinen Vater.

Ja, ich war tatsächlich der Trauzeuge für eine Hochzeit, die meiner persönlichen Hölle entsprach.

Wie immer bedachte mich mein Erzeuger mit einem abwertenden Blick und trat plötzlich an mich heran.

»Du solltest deine Fliege richten«, zischte er mir zu. »Nicht einmal an meinem Hochzeitstag schaffst du es, dich einwandfrei zu kleiden. Du beschämst mich!«

Reflexartig griff ich danach, nur um festzustellen, dass sie perfekt saß.

Schlagartig wurde mir bewusst, er kritisierte nicht meine Fliege, sondern mich. Egal was ich tat, mein Vater war stets unzufrieden mit mir. Früher als Kind hatte ich darunter gelitten, dass ich in seinen Augen vergebens nach Stolz gesucht hatte, wenn er mich ansah. Heute schürte es nur noch mehr den Groll, den ich ihm gegenüber empfand.

Schließlich setzte das Spiel der Harfe ein und jegliche Blicke richteten sich zum Eingang. Die Zeremonie begann und sobald die Braut zum Altar schritt, rissen meine alten Wunden schmerzhaft wieder auf.

 

***

 

Mit dem Ellenbogen auf der Theke gestützt, strich ich mit den Fingern über mein Kinn, während ich die junge Barkeeperin dabei beobachtete, wie sie meinen Whisky zubereitete.

Ich spürte regelrecht ihre wachsende Nervosität, weil meine Augen auf ihr hafteten.

Ihre unbestreitbare Schönheit und ihr keckes Lächeln hatten erst mein Interesse geweckt, nun aber wusste ich, sie war mir und meiner autoritären Art nicht gewachsen. Das war enttäuschend, denn ich hätte heute gut eine Ablenkung gebrauchen können.

»Ich möchte nur einen Eiswürfel, sonst wird der Whisky zu stark verwässert«, forderte ich.

»Aber natürlich, Mr Milesteen«, kam es von ihr, wie aus der Pistole geschossen. Dabei mied sie meinen Blick.

Mir fiel wieder ihr reizvolles Aussehen auf und wahrscheinlich würde sie sich sogar an meine Regeln halten, jedoch war sie zu jung und unsicher, um zu wissen, was ihr gefiel. Deswegen ließ ich meine Finger von ihr.

Sobald ich den Whisky in der Hand hielt, wandte ich mich von ihr ab und beobachtete, wie mein Vater und seine neue Frau gerade zu irgendeinem Song aus den Achtzigern tanzten. Die Hochzeitsparty war schon voll im Gange.

Catherines Erscheinung raubte mir immer wieder aufs Neue den Atem und besonders heute konnte ich meine Augen nicht von ihr lassen. Das enganliegende Brautkleid betonte jede ihrer Kurven und ließ ihre Porzellanhaut strahlen. Sie sah wunderschön aus.

Plötzlich wirbelte mein Vater sie herum und Catherine lachte herzlich. Sie wirkten tatsächlich verliebt.

Die aufsteigende Übelkeit darüber versuchte ich, mit einem Schluck von meinem Whisky zu betäuben. Es half ein wenig. Nichtsdestotrotz würde ich mich nicht abfüllen. Der Verlust der Kontrolle war für mich schlimmer als der Schmerz, den ich fühlte.

Noah gesellte sich zu mir und warf mir einen mahnenden Blick zu. »Du solltest sie nicht so anstarren.«

Demonstrativ drehte ich mein Gesicht von ihr weg.

»Irgendwann musst du über sie hinwegkommen.«

Ich leerte meinen Whisky. »Ich versuche es ja. Aber das gestaltet sich mehr als schwierig, da sie nun meine Stiefmutter ist und stets ein Teil meines Lebens sein wird.«

Frustriert rieb ich mir meinen Nacken. Wenn ich wenigstens ihre Beweggründe, warum sie sich für meinen Vater entschieden hatte, verstehen würde.

Es hatte mich getroffen, wie ein harter Schlag mitten in die Niere, als ich vor zwölf Monaten von meiner Segeltour zurück nach London kam und erfuhr, dass Catherine und er verlobt waren. Das war nur ein halbes Jahr, nachdem Catherine und ich beschlossen hatten, zusammen zu ziehen, sobald ich wieder Zuhause sein würde.

Eigentlich hätte mir unsere gemeinsame Vergangenheit eine Lektion sein müssen, aber Catherine ließ mich meine Fehler ständig wiederholen. Vergleichbar mit einer degenerierten Fliege, die auf der Suche nach dem Weg nach draußen immer wieder gegen die gleiche Fensterscheibe flog, war ich erneut auf sie hereingefallen. Aber das alles hatte nun ein Ende.

Meine Gefühle zu ihr waren in der Zwischenzeit abgeebbt, doch der Schmerz über den verletzten Stolz herrschte nach wie vor in mir. Für mich war es unbegreiflich, wie sie meinen Vater mir hatte vorziehen können. Den Menschen, den ich am meisten verabscheute.

»Lio«, hörte ich auf einmal meinen Namen. Ich wandte mich um und sah, dass sich Catherine in diesem Moment einen Weg durch die Gäste bahnte. Sie lief direkt auf mich zu und als sie vor mir stand, streckte sie mir ihre Hand entgegen.

Die Braut forderte mich zu einem Tanz auf und ich war nicht stark genug, ihr die Bitte abzuschlagen.

Im Augenwinkel sah ich, dass Noah mit dem Kopf schüttelte und er hatte Recht, ich sollte nicht mit ihr tanzen. Dennoch legte ich meine Hand in die ihre und sie belohnte mich mit diesem hinreißenden Lächeln, in das ich mich verliebt hatte.

Sie führte mich zielgerichtet zu der Tanzfläche und schließlich bewegten wir uns langsam zu den Klängen der Band.

Es war ein vertrautes Gefühl, sie in meinen Armen zu halten. Zu vertraut.

»Bist du glücklich?« Ich legte meinen Kopf schief und durchbohrte sie mit meinem Blick.

»Ja«, antwortete sie mit einer Bestimmtheit, die mir sofort einen Stich versetzte.

»Glücklicher als in der Zeit mit mir?«

Ein gequälter Ausdruck huschte über ihr Gesicht.

»Bitte nicht«, flehte sie. »Bitte stelle mir nicht so eine Frage auf meiner Hochzeit!«

Aber ich wollte es wissen.

»Nach all dem, was du mir angetan hast, solltest du mir wenigstens den Gefallen tun und mir meine Frage beantworten.«

Sie schlug die Augen nieder und sagte etwas, dass mich vollkommen durcheinanderbrachte: »Ich war niemals glücklicher als mit dir.«

Mein Herz setzte für einen Schlag aus.

»Aber gleichzeitig war ich mit dir auch am unglücklichsten«, sprach sie weiter. »Du hast mir nie das Gefühl gegeben, dass unsere Beziehung eine Zukunft hat.«

»Das stimmt nicht … du warst die erste Frau, mit der ich mir hätte vorstellen können, den Rest meines Lebens zu verbringen«, widersprach ich.

»Aber heiraten wolltest du mich nicht.«

Damit hatte sie Recht. Die Ehe war nichts für mich, nicht, seitdem meine Eltern die schlimmste Schlammschlacht Englands durchgemacht hatten. Aber was Catherine nicht wusste, für sie wäre ich sogar bereit gewesen, meine Zweifel gegenüber einer Hochzeit zu vergessen.

»Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ja, ich wollte dich nicht heiraten, weil ich in der Ehe keinen Sinn sehe. Trotzdem habe ich dich geliebt.«

Sie blieb stehen und löste sich von mir. Erst jetzt bemerkte ich, dass der Song vorbei war.

»Liebe gibt mir nicht die Sicherheit, die ich brauche.«

Ich runzelte die Stirn und versuchte ihre Worte zu verstehen. »Deutest du etwa damit an, dass du meinen Vater wegen des -« Ich brach mitten im Satz ab, weil ich es nicht aussprechen konnte.

Sie presste schuldbewusst die Lippen aufeinander und da hatte ich meine Antwort.

Ich kannte die Geschichte von Catherines Familie. Sie waren die Gründer einer der ältesten Verlage von England. Leider hatte dieser in den letzten Jahren starke Verluste verzeichnet. Hinzu kamen Fehlentscheidungen des Vorstands, die den Betrieb immer weiter heruntergewirtschaftet hatten und nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Verlag vor dem Aus stand. Doch noch schlimmer war, dass die Rücklagen der Familie durch Fehlinvestitionen beinahe komplett aufgebraucht waren.

Die Collins standen vor dem Ruin und Catherine schien mit diesen Zukunftsaussichten – ein Leben in Armut – nicht zurechtzukommen.

Als mir das bewusst wurde, verstand ich erst, was für einen verdorbenen Charakter Catherine tatsächlich hatte. Sie war bereit, für Geld jemanden zu heiraten, den sie gar nicht liebte.

Plötzlich war ich froh, dass sie mich abserviert und mich so vor dem schlimmsten Fehler meines Lebens bewahrt hatte.

Augenblicklich verfestigte sich mein Entschluss, niemals zu heiraten und diesmal würden meine Gefühle daran auch nichts ändern. Außerdem schwor ich mir, mich nicht wieder auf eine Frau einzulassen, die wesentlich weniger Geld hatte als ich. So jemandem könnte ich dank Catherine nicht mehr vertrauen.

»Danke«, sagte ich und sie schaute mich verwundert an.

»Danke für deine Ehrlichkeit. Das macht es einfacher, dich zu hassen.«

Ehe sie noch etwas sagen konnte, wandte ich mich ab und verschwand in der Masse der tanzenden Gäste.

 

 

 

 

2. Kapitel

 

Sie

 

Der heutige Tag war lang und anstrengend gewesen. Deswegen war ich umso glücklicher, endlich in meiner Wohnung zu sein und mich auf mein Sofa fallen zu lassen. Schwer seufzend legte ich meine Füße auf dem Couchtisch ab.

Es war kaum zu glauben, wie sehr mein Körper nach dem Yoga-Kurs, den ich nach der Arbeit besucht hatte, schmerzte.

Seit es einen neuen Trainer gab, diente die Sportstunde weniger dazu, seine innere Balance zu finden, sondern glich einem quälenden Drill, von dem ich wohl noch die nächste Zeit etwas spüren würde.

Ich ging meine Post durch, die ich in der Hand hielt und neben den üblichen Rechnungen entdeckte ich ein silbern schimmerndes Kuvert der Partnervermittlung Gardner & Aubery.

Schnell riss ich es auf und entfaltete den darin enthaltenen Brief. Mir fiel eine Karte entgegen, der ich erstmal keine Beachtung schenkte. Stattdessen flogen meine Augen über die geschwungenen Worte des Briefes.

 

Verehrte Miss Louann Kenderson,

die Liebe ist wie ein Diamant. Sie ist selten, braucht Zeit, um zu entstehen und nur die reinste ist auch die kostbarste.

Wir, die Partnervermittlung Gardner & Aubery, haben es uns zur Aufgabe gemacht, besonders anspruchsvollen Menschen auf ihrem Weg zur Findung dieser wertvollen Liebe zu unterstützen und haben deshalb die Diamond Dates ins Leben gerufen.

Wir haben uns sehr über Ihre Bewerbung an den diesjährigen Diamond Dates gefreut und möchten Ihnen mitteilen, dass Sie sich, nach Prüfung Ihrer Daten, für eine Teilnahme qualifiziert haben.

Anbei erhalten Sie die offizielle Einladung, mit der sie Zutritt zu unserer ersten Veranstaltung erlangen. Die weiteren Einladungen zu den darauffolgenden Diamond Dates werden wir Ihnen immer vor dem jeweiligen Termin auf dem Postweg zukommen lassen.

 

Mit besten Empfehlungen

 

Tim Gardner & Dr. Kimberly Aubery

Tim Gardner Gründer & Geschäftsführer der Gardner & Aubery Agency

Dr. Kimberly Aubery psychologische Analytikerin & Geschäftsführerin der Gardner & Aubery Agency.

 

Darunter waren die Termine der Diamond Dates und ihre Mottos aufgelistet. Aber da ich nur an einer Veranstaltung teilnahm, überflog ich sie bloß kurz. Schließlich griff meine Hand nach der postkartengroßen Einladung, die auf meiner Brust gelandet war. Sie war cremeweiß und mit silbernen Ornamenten bedruckt. Darauf war das Datum, die Uhrzeit, der Veranstaltungsort und die gewünschte Garderobe vermerkt.

Was auch immer Sams Freundin getan hatte, es hatte funktioniert. Ich hielt tatsächlich die Einladung zum ersten Diamond Date in den Händen.

Schnell nahm ich das Handy, das neben mir auf dem Sofa lag und wollte Sam gerade die Neuigkeiten mitteilen, als es plötzlich klingelte. Reflexartig ging ich ran.

»Hallo?«

»Louann, ich bin‘s … dein Vater«, erklang eine Stimme am anderen Ende, mit der ich am wenigsten gerechnet hatte.

Sofort überfluteten mich unzählige Gefühle, die mich vollkommen überforderten. Schon so lange hatte ich meinen Dad nicht mehr gehört. Mein erster Impuls war es, ihn zu fragen, ob es ihm gut ging. Mein zweiter, ihm zu gestehen, dass ich ihn vermisste. Doch dann stürzten die Erinnerungen von vor fünf Jahren auf mich ein. Ich sah, wie mein Vater mit Handschellen abgeführt wurde und ich neben meiner Mutter auch noch ihn verlor. Ich sah, wie ich plötzlich keine Familie, kein Zuhause und keine Freunde mehr hatte. Ich sah, wie meine Welt um mich herum zerbrach.

Die Wut und Enttäuschung in mir gewannen die Oberhand und ich hörte mich fragen: »Warum rufst du an?«

Am anderen Ende wurde es für einen Moment still.

»Es gibt Neuigkeiten, die du von mir und nicht von der Presse erfahren sollst«, fuhr er schließlich fort.

Ich wurde sofort hellhörig.

Wovon sprach er bloß? Würden weitere Dinge ans Licht kommen, die mein Leben noch mehr ins Chaos stürzten? Wie sollte ich das nochmal durchstehen – die Negativschlagzeilen, die aufdringliche Presse, die ständige Konfrontation mit den hässlichen Seiten meines Vaters? Dafür war ich nicht stark genug.

»Der Richter hat gestern entschieden, dass ich in vier Monaten freigelassen werde«, ließ er die Katze aus dem Sack und mein Magen fühlte sich leer und hohl an.

Natürlich war ich froh, dass meine schlimmsten Befürchtungen nicht wahr wurden und ein kleiner Teil war sogar erleichtert, dass mein Vater nicht länger im Gefängnis sitzen musste. Dennoch war ich vollkommen mit dieser Information überfordert. Erfolgreich hatte ich die Vergangenheit und die damit einhergehenden Emotionen in den letzten Jahren verdrängt. Ich hatte ihn aus meinem Leben verbannt, weil es zu schmerzhaft wäre, wenn er noch dazu gehören würde. Das Gefängnis hatte dabei geholfen.

»Aber die sieben Jahre sind noch gar nicht vorbei?!«, erwiderte ich ungläubig.

»Aufgrund von guter Führung und Platzmangel im Gefängnis wurde mir diese Chance gegeben.«

Alles in mir gefror.

»Und was willst du jetzt von mir hören?! Dass ich mich freue? Oder ich es gar nicht erwarten kann, dich wiederzusehen?«

»Nein«, erwiderte er. »Ich verstehe, dass du sauer bist und ich verstehe auch, falls du mich nicht sehen möchtest. Wie gesagt, rufe ich an, damit du es von mir persönlich erfährst und nicht aus irgendeinem Zeitungsartikel. Ich dachte, so wäre es für dich leichter.«

»Leichter?« Ich schnaubte und ein unbändiger Zorn vermischte sich mit meinen anderen Emotionen. »Nichts in meinen Leben ist dank dir noch leicht. Ich war kaum achtzehn, als du ins Gefängnis musstest. Weißt du, wie schwer es war, plötzlich völlig alleine zu sein, ohne Mutter, ohne Vater?! Hinzu kam, dass niemand von meinen Freunden mehr mit mir sprechen wollte. Das hat bis heute Spuren bei mir hinterlassen.«

»Louann, es … es tut mir wirklich alles furchtbar leid und ich weiß, es gibt nichts, was ich tun kann, um es wieder gut zu machen.«

»Stimmt, das, was du mir angetan hast, ist nicht wiedergutzumachen und verzeihen werde ich dir das auch nicht. Komm bloß nicht nach deiner Entlassung auf die Idee, Kontakt zu mir zu suchen. Ich will das nicht.« Meine Stimme brach. Ich kniff mir in die Nasenwurzel, in der Hoffnung meine aufsteigenden Tränen aufhalten zu können. Es klappte nicht und bevor ich anfing zu weinen, beendete ich das Gespräch.

 

***

 

»Du bist so schweigsam, denkst du an deinen Vater?«, fragte Sam. Ich riss meinen Blick von der getönten Autoscheibe los und sah meine Freundin verwundert an. Woher wusste sie immer, was in mir vorging?

Seit mehr als einer Woche beschäftigte mich seine bevorstehende Freilassung und ließ sogar die Nervosität über den bevorstehenden Abend verblassen.

Ich nickte.

Sanft berührte sie meine Hand und wollte gerade noch etwas sagen, doch plötzlich wurde die Trennscheibe zum Chauffeur des Rolls-Royce, in dem wir unterwegs waren, heruntergefahren.

»Ms Andrews«, sprach der Fahrer Sam an. »Wir sind in zehn Minuten da.«

Nun spürte ich doch, wie die Aufregung von meinem Körper Besitz ergriff.

Nur noch zehn Minuten bis wir am Hotel, dem Veranstaltungsort des Maskenballs, ankommen würden. Nur noch zehn Minuten bis ich umgeben war von den Menschen, die ich eigentlich hatte meiden wollen.

Zum tausendsten Mal überprüfte ich mein Aussehen im Handspiegel und nein, es gab rein gar nichts auszusetzen. Mein Make-up war perfekt sowie meine blonden Haare, die in sanften Wellen über meine Schultern fielen. Auch die tiefblaue Maske, die meine Augenpartie verbarg, war nicht verrutscht. Trotzdem war ich vollkommen verunsichert. Ich hatte das Gefühl, mich gleich in ein Becken voller ausgehungerter Haie zu begeben.

»Du musst nicht nervös sein«, sagte Sam.

Ich verzog meinen Mund zu einem gequälten Lächeln.

»Es ist nur, dass ich schon lange nicht mehr auf so einer Art von Veranstaltung war.«

»Ach, das bedeutet, du hast schon vorher an einer Verkupplungsparty teilgenommen, ohne mir etwas zu sagen?!«, zog sie mich auf.

»Du weißt, was ich meine.« Ich seufzte. »Früher war ich häufig auf Dinnerpartys, Bällen oder anderen Feiern der Upper Class Englands, aber das scheint schon eine Ewigkeit her zu sein. Nicht, dass ich mich zum Gespött des Abends mache, weil ich nicht mehr weiß, wie man sich richtig benimmt.«

»Glaub mir, bei der Gästeliste kannst du dich nicht zum Gespött machen. Besonders, weil ich gehört habe, dass der Erbe der Milesteen Hotelkette auch kommt. Übrigens, um ihn solltest du einen Bogen machen.«

Sie nahm ihre Clutch zur Hand und holte ihren Lippenstift heraus. Er war lachsfarben, genau wie ihr wunderschönes Kleid.

Der Name Milesteen war mir natürlich ein Begriff. Außerdem war eines dieser Hotels der Veranstaltungsort für den heutigen Maskenball. Dennoch hatte ich keine Ahnung, wovon Sam sprach. Vom Klatsch und Tratsch der High Society wollte ich nichts mehr wissen, nicht, seitdem mein Vater und ich viel zu lange Teil von eben diesem gewesen waren.

»Ich hatte eh nicht vor, hier jemanden kennenzulernen. Schon vergessen, ich bin nur deinetwegen hier.«

Entschuldigend lächelte sie mich an.

»Aber ein kleines bisschen flirten könnte dir nicht schaden.« Sie zwinkerte. »Der Abend soll schließlich Spaß machen.«

Da war ich ausnahmsweise nicht mit Sam einer Meinung. Flirten mit Männern mit einem übergroßen Ego, von denen es auf dem Diamond Date nur so wimmelte, gehörte definitiv nicht zu den Dingen, die mir Spaß machten.

Ich wandte meinen Kopf wieder dem Fenster zu und blickte hinaus. Durch die getönten Scheiben sah ich, dass wir gerade am Harrods vorbeifuhren. Davor tummelten sich auf den Gehwegen unzählige Menschen. Einige von ihnen waren auf dem Weg nach Hause, andere waren shoppen. Irgendwie beneidete ich sie um ihre Abendbeschäftigungen. Sie waren wesentlich entspannter als die meine.

Wir hielten an einer Ampel und ein roter Doppeldecker-Bus, der neben uns stand, versperrte mir die Aussicht. Schließlich fuhren wir weiter und nachdem wir die Hauptstraße verlassen hatten, erspähte ich das große und luxuriöse Hotelgebäude im neobarocken Baustil.

Das Milesteen Hotel gehörte zu den ältesten Gebäuden Londons und bot dementsprechend einen außergewöhnlichen Anblick.

Meine Augen wanderten über die kunstvoll gestaltete weiße Fassade, über die Bäume im Vorgarten, die mit leuchtenden Lichterketten bestückt waren und blieben schließlich auf den Fotografen hängen, die sich vor dem Eingang versammelt hatten.

»Oh nein, was macht die Presse denn hier?«, fragte ich und meine Nervosität stieg ins Unermessliche.

»Die Reporter sind da, wo sie eine gute Schlagzeile vermuten. Und wo könnten sie eine bessere finden als auf einer Single-Party für Reiche?!«

Plötzlich hielt der Wagen an und das Blitzlichtgewitter setzte augenblicklich ein. Panik überschwemmte mich.

»Sam, ich kann da nicht rausgehen. Nicht, wenn die Gefahr besteht, dass die Reporter mich erkennen«, sagte ich angsterfüllt.

»Sie werden dich mit der Maske nicht erkennen. Dafür ist sie ja schließlich da. Auf dem ersten Diamond Date soll die Identität geschützt werden, damit ein unverfängliches Kennenlernen möglich ist«, erinnerte sie mich.

Ich war noch nicht beruhigt.

»Wir werden einfach an ihnen vorbeigehen, okay? Du musst dir keine Sorgen machen.«

In diesem Augenblick öffnete Sams Chauffeur für uns die Autotür. Meine beste Freundin stieg zuerst aus und reichte mir anschließend die Hand. Ich nahm all meinen Mut zusammen und erfasste sie. Mit erhobenem Haupt verließ ich den Wagen. Sam hielt ihr Wort und ignorierte die Fotografen, die mit Zurufen um unsere Aufmerksamkeit buhlten und wir überquerten so schnell wie es uns in den hohen Schuhen möglich war, den roten Teppich.

Erst als wir die Glastür des Hotels passiert hatten, fiel mir auf, dass ich den Atem angehalten hatte. Aber mir blieb keine Zeit zum Luftholen, weil mich Sam schon weiterzog.

»Wir müssen hier entlang«, wies sie mich an und steuerte eine Schlange von Menschen an, die wie wir eine Maske trugen.

»Ein Glas Champagner, während Sie warten?«, wurden wir von einer Kellnerin mit schwarzer Fliege und Weste begrüßt.

»Gerne«, sagte Sam, nahm zwei Gläser herunter und reichte mir eines der beiden.

»Ich glaube, es wäre besser, wenn ich nichts trinke«, lehnte ich ab. Schließlich sollten meine Sinne bei dieser Gesellschaft geschärft bleiben.

»Lou, jetzt sei keine Spaßverderberin«, meckerte Sam. »Du hast es verdient, deine Probleme für einen Abend zu vergessen.«

Sie sah mich eindringlich an.

»Du hast ja recht«, gab ich mich geschlagen und nahm das Glas Champagner an mich.

Nachdem wir angestoßen hatten, trank ich einen ordentlichen Schluck in der Hoffnung, dass nicht nur meine Sorgen verblassen würden, sondern auch meine Nervosität.

»Wer bezahlt das eigentlich alles?«, fragte ich und blickte mich in dem schmuckvollen Foyer um. Der Veranstaltungsort kostete bestimmt ein Vermögen.

»Natürlich die Gäste. Der Preis für die Teilnahme beträgt pro Person 3000 £. Aber durch meine Freundin habe ich einen Rabatt bekommen.«

»Was?!«, stieß ich aus.

»Keine Sorge, ich habe das für dich bezahlt.«

»Das hättest du nicht tun sollen. Das ist viel zu viel Geld!«

Sam winkte ab. »Ich wollte unbedingt, dass du mitkommst, also lade ich dich dazu ein. Das ist selbstverständlich.«

»Ich muss dir das zurückzahlen!«

»Aber ich werde kein Geld von dir annehmen. Du tust mir einen Gefallen, nicht ich dir«, widersprach sie.

Trotz ihrer Beharrlichkeit blieb das schlechte Gewissen.

»Bitte denk nicht weiter darüber nach«, flehte sie. »Genieße einfach den Abend.«

Ich nahm noch einen Schluck von meinem Champagner und versuchte, ihn diesmal mehr wertzuschätzen in Anbetracht dessen, welche hohe Summe Sam für mich ausgegeben hatte.

Die Schlange rückte mit der Zeit immer weiter nach vorn und schließlich wurden unsere Einladungen von einer sehr freundlichen Empfangsfrau der Partnervermittlung entgegengenommen.

»Herzlich Willkommen bei dem diesjährigen ersten Diamond Date, Ms Kenderson und Ms Andrews.«

Im Gegensatz zu den Gästen trug die Frau keine Maske, aber dafür ein Namensschild an der Brust, das sie als Mitarbeiterin auswies.

»Zuallererst möchte ich Sie kurz mit den Regeln des Abends vertraut machen. Während die Männer verschiedenfarbige Einstecktücher bekommen, erhalten die Frauen unterschiedliche Armbänder.« Sie holte zwei samtene Schatullen unter dem Tresen hervor, öffnete diese und schob sie uns zu.

»Für Sie, Ms Kenderson, ist das silberne und für Sie, Ms Andrews, das goldene. Diese müssen Sie den ganzen Abend tragen und sollten immer gut sichtbar sein.«

Ich betrachtete das Armband und stellte fest, dass es mich an ein Bettelarmband erinnerte. Am Verschluss baumelte eine kleine Sonne, während Sams eine Blume aufwies.

»Waren Sie bereits bei einem unserer Diamond Dates?«, fragte sie und wir beide schüttelten den Kopf.

»Gut, dann erkläre ich die Verfahrensweise und die Funktion des Schmuckstücks ausführlicher. Das Armband dient dem Zweck, Einzeldates zwischen Gästen zu vermitteln. Da dieses Mal Männerwahl ist, entscheiden sich die Männer für Frauen, die sie gerne näher kennenlernen möchten. Dafür erwerben Sie einen Diamantanhänger an unserem Mitarbeitertresen und wir überreichen es der Auserwählten. Durch die Verzierungen an den Verschlüssen der Armbänder muss der Mann dafür nicht den vollständigen Namen der Frau kennen, sondern nennt uns bloß das Symbol vom Schmuckstück. In den folgenden Wochen werden dann die Einzeldates stattfinden. Haben Sie diesbezüglich noch Fragen?«

Mir fiel da nur eine ein: »Ist die Teilnahme der Einzeldates Pflicht?«

Die Mitarbeiterin runzelte die Stirn. »Nun ja … nicht, dass ich wüsste, aber der Sinn der Diamond Dates ist das Kennenlernen von potentiellen Partnern und da sind die Einzeldates natürlich von Vorteil.«

»Was hat es mit den dreifarbigen Armbändern auf sich?«, wollte Sam wissen und zeigte auf eine Frau, die sich eines gerade anlegte. »Ich dachte, es gäbe sie nur in Silber, Gold und Rosé?«

»Diese Armbänder sind für die Gäste, die nach einem gleichgeschlechtlichen Partner suchen. Dort gibt es natürlich keine Männerwahl.«

Das überraschte mich positiv. Ich hatte tatsächlich geglaubt, die Veranstaltung unterliegt veralteten und konservativen Einstellungen von kleinkarierten Aristokraten und Reichen, die gleichgeschlechtliche Beziehungen verurteilten. Aber da hatte ich mich geirrt.

»Gibt es noch weitere Fragen?«, wollte die Mitarbeiterin wissen. Sam und ich schüttelten den Kopf.

»Gut, dann muss ich Sie noch darauf hinweisen, dass das Abnehmen der Masken für die Zeit der Veranstaltung nicht gestattet ist, außer Sie bekommen von einem unserer Mitarbeiter die Erlaubnis. Zusätzlich muss ich Ihre Mobiltelefone einsammeln, um die Privatsphäre der Gäste zu schützen. Beim Verlassen des Hotels bekommen Sie diese natürlich wieder zurück.«

Sam und ich gaben der Mitarbeiterin unsere Handys und legten danach unsere Armbänder an. Schließlich wurden noch Fotos von meiner Freundin und mir gemacht und ausgedruckt.

»Die Bilder sind nur für unser Team, damit wir Sie, trotz Maske, schnell zuordnen können.«, erklärte sie und wünschte uns zum Schluss einen schönen Abend.

Wir verließen den Empfangstresen und traten in einen weiteren Vorraum ein. Ein Mann im Anzug, der auch zum Team der Partnervermittlung gehörte, winkte uns heran.

»Guten Abend die Damen«, begrüßte er uns und warf einen kurzen Blick auf unsere Handgelenke.

»Die Frauen mit den silbernen Armbändern nehmen bitte die Flügeltür gerade zu und die mit den goldenen begeben sich bitte nach oben«, wies er uns an.

»Was, wir werden getrennt?«, stieß ich aus und blickte hilfesuchend zu Sam, die nicht weniger überrascht war.

»Exakt«, bestätigte der Mann. »In den unterschiedlichen Bereichen werden Sie jeweils auf die Männer treffen, die laut Auswertung des Fragebogens am besten zu Ihnen passen.«

»Aber wir wollen zusammenbleiben«, sagte Sam.

»Tut mir leid, das geht leider nicht. Aber vielleicht ist es Ihnen ein Trost, dass um dreiundzwanzig Uhr alle Bereiche geöffnet werden. Bis dahin sind es nur drei Stunden.«

Sam und ich tauschten perplexe Blicke aus.

»Was machen wir jetzt? Wollen wir lieber gehen?«, wollte sie wissen.

Nur zu gerne hätte ich auf ihre Frage mit Ja geantwortet, aber dann dachte ich an die enorme Summe, die Sam für die Karten ausgegeben hatte. Außerdem hatte sie sich so sehr auf diesen Abend gefreut, das wollte ich ihr nicht kaputtmachen.

»Ich denke, wir sollten dieser Veranstaltung eine Chance geben«, erwiderte ich.

»Ehrlich?«, hakte sie nach.

»Ja, schließlich gibt es Essen und Drinks umsonst«, benutzte ich das gleiche Argument, mit dem sie mich vor einer Woche versucht hatte zu überzeugen. »Und um elf treffen wir uns und feiern den Rest des Abends gemeinsam.«

Sie kniff die Augen zusammen und schien abschätzen zu wollen, ob ich meine Worte ernst meinte.

»Ich habe nicht in meinem Bad ein Chaos aus Rouge, Lidschatten und Lippenstift verursacht, um gleich wieder zu gehen«, beharrte ich.

»Aber was ist mit meinem Versprechen, dich nicht alleine zu lassen?

»Ach, das kannst du schnell wieder gut machen. Vielleicht mit einem Cupcake von Peggy Porschen?!« Ich wackelte mit den Augenbrauen und Sams Mundwinkel zuckte.

»Ist es wirklich in Ordnung für dich?«, hakte sie noch einmal nach.

»Ja«, erwiderte ich. »Und jetzt geh schon, bevor ich den Türsteher darum bitte, dich über die Schulter zu werfen und nach oben zu tragen.«

»Gut«, gab sie sich geschlagen.

 

 

 

Er

 

Meine Schritte hallten laut im großen Foyer des Milesteen Hotels in der Nähe des Hyde Parks wider. Ich hatte mein Büro verlassen und mich auf den Weg zu den Festsälen des Hauses gemacht, um mich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass die gemieteten Räumlichkeiten für unsere Kundschaft bereit waren. Als ich den größten Veranstaltungssaal betrat, blendete ich für einen kurzen Moment das rege Treiben der Angestellten aus und erlaubte mir die Schönheit der großen Halle zu genießen. Es war, als würde ich in die Vergangenheit eintauchen. Bereits Ende des achtzehnten Jahrhunderts hatten hier Bälle stattgefunden und auch heute würden Frauen in Kleidern und Männer im Anzug tanzen.

Jedoch währte die Ruhe nur kurz, stattdessen übernahm mein Perfektionismus die Führungsrolle, sobald ich die Mängel sah, die für mein geübtes Auge regelrecht herausstachen. Sofort trat ich an die Hotelmanagerin heran, die die Vorbereitungen überwachte.

»Ms Stone«, kam mir ihr Name wie eine Drohung über die Lippen und verschreckt sah sie von ihrem Klemmbrett auf.

»Mr Milesteen, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

Einerseits befriedigte es mich, dass ich ihr Angst einjagte, andererseits hatte ich es satt, wie mein Vater, der Gründer und CEO der Milesteen Hotelkette, angesehen zu werden. Ja, auch ich war ihr Boss und ja auch mich umgab die gleiche Kühle, die mein Vater besaß, dennoch konnte ich es nicht ertragen, wenn mir jemand meine Ähnlichkeit mit ihm vor Augen führte.

Ich atmete tief ein und aus, um nicht die Beherrschung zu verlieren.

»Warum stehen die Buffettische hier? Sie versperren den Zugang zur Terrasse.«

Die platinblonde Frau folgte meinem Blick.

»Sie haben absolut Recht, ich werde sie sofort wegräumen lassen«, erwiderte sie kleinlaut.

Ich schnalzte unzufrieden mit der Zunge und suchte den ersten von vier Veranstaltungssälen des Hotels nach weiteren Makeln ab.

»Und haben Sie sich schon die Fenster angesehen?! Sie sind völlig verdreckt. Außerdem tragen nur die Hälfte der Kellner beim Eindecken der Tische Handschuhe. Ist ihnen nicht klar, dass sie so hässliche Fingerabdrücke auf den Gläsern hinterlassen?«

Genau genommen gehörte es nicht zu meinen Aufgaben, mich der Vorbereitungen der Festsäle anzunehmen. Stattdessen war ich für die übergreifende Leitung aller Zweigstellen Englands verantwortlich und beschäftigte mich mit weltweiten Entscheidungen, die die Zukunft meines Familienunternehmens beeinflussten. Dementsprechend war mein Arbeitsalltag voll durchgetaktet. Aber anscheinend funktionierte in diesem Unternehmen nichts ohne meine Kontrollen.

»Da … da … das tut mir leid«, stotterte sie.

Abwertend rümpfte ich meine Nase. »Heute findet in unserem Haus eines der wichtigsten Events Englands statt und da erwarte ich Perfektion, vor allem von der Hotelmanagerin«, fuhr ich sie an. »Aber wenn ich mir das so ansehe, komme ich zu dem Schluss, Sie sind mit Ihrer Position heillos überfordert.«

Der Auftakt der Diamond Dates übte auf unsere Hotelmarke einen enormen Druck aus, da die Söhne und Töchter der reichsten Familien Englands diesem Maskenball beiwohnten. Alles musste den hohen Ansprüchen der Wohlhabenden und Mächtigen gerecht werden.

Sie widersprach mir nicht, was mich nicht verwunderte, denn niemand widersprach mir.

Ihr Versagen ließ mich nur zu einem Schluss kommen – ich würde die Sache selbst in die Hand nehmen müssen.

»Ms Stone, Sie sind von ihren Pflichten hier freigesprochen.« Meine Stimme war so kühl, dass sie fröstelte. »Ich werde mich von nun an persönlich, um die Beaufsichtigung der Vorbereitungen kümmern.«

Sie nickte einsichtig.

»Und tragen Sie sich für Montag, neun Uhr, einen Termin in Ihrem Kalender ein. Ich möchte Sie dann in meinem Büro sehen.«

Sie nickte wieder, diesmal niedergeschlagen. Wahrscheinlich ahnte sie, dass ich sie feuern würde.

Während Ms Stone den Saal verließ, winkte ich den F&B Manager heran, der gerade zusammen mit dem Kellner, die Buffettische mit weißen Tischdecken bestückte. Gemeinsam mit ihm nahm ich die anderen Säle in Augenschein und brachte sie auf Vordermann.

Nach getaner Arbeit lief ich an der Rezeption des Hotels vorbei, in Richtung der Büroräume, als plötzlich mein Handy in der Hand vibrierte. Sofort ging ich ran.

»Die Investoren sind jetzt da. Sie erwarten Sie im Konferenzraum«, informierte mich mein Assistent Mr Sanders.

»Ich bin gleich da.«

Zum ersten Mal seit langem in meinem Leben, verspürte ich eine kribbelnde Vorfreude auf das folgende Meeting.

Denn diese Investoren ermöglichten es mir, ein langgehegtes Wunschprojekt zu realisieren. Vorausgesetzt, ich würde sie von meiner Idee überzeugen. Und sobald sie mir ihr Go gäben, könnte ich endlich aus dem Schatten meines Vaters heraustreten. Ein Ziel, das ich schon lange vor Augen hatte.

Mein Assistent fing mich auf dem Flur ab.

»Ist alles bereit?«, wollte ich von ihm wissen.

»Die Technik ist einsatzfähig, die Erfrischungen und Canapés sind gereicht«, antwortete er, während er mir in mein Büro folgte.

»Nehmen Sie bitte die Businesspläne«, wies ich ihn an, als wir in mein Arbeitszimmer eintraten. Schnell warf ich einen prüfenden Blick in den Spiegel, trank einen Schluck Wasser und folgte meinem Assistenten anschließend in den Konferenzraum.

Mit einer ausladenden Armbewegung trat ich ein und schüttelte nacheinander den zehn schwer reichen Männern und Frauen, die heute über meine Zukunft entschieden, die Hand. Einige von ihnen waren langjährige Freunde der Familie, andere waren flüchtige Bekanntschaften, die die Möglichkeit, ihren Reichtum mit mir zu vergrößern, wahrnehmen wollten.

Als ich mich wieder zum Kopf des Tisches begab, schloss mein Assistent die Vorhänge und ich ließ derweil eine Leinwand von der Decke herunterfahren. Keine Sekunde später begann ich meine Präsentation und stellte mein Vorhaben vor, alte und leerstehende englische Landhäuser vor dem Zerfall zu retten und aus ihnen gewinnbringende Hotels zu machen.

 

***

 

Ich starrte aus dem Fenster meines Bürozimmers hinaus und beobachtete das turbulente London, das sich unter mir erstreckte. Die Menschen auf den Straßen folgten zielgerichtet ihrem Weg. Einem Weg, den sie für sich bestimmt hatten.

Auch ich hatte heute etwas für mich bestimmen wollen, nur leider war ich ein Nichts ohne meinen Vater. Das sah nicht nur mein Erzeuger so, sondern auch die Investoren. Ich fuhr mir grob durch die Haare, während in mir der Frust und die Wut tobten. Ein Nein war nicht das, was ich hatte hören wollen. Ein Nein war ich nicht gewöhnt. Nicht als Lio Milesteen, Erbe eines der größten Vermögens Europas.

Und darum ging es mir dermaßen beschissen.

Mein Blick fiel auf eine übriggebliebene Mappe auf meinem Schreibtisch, die nicht nur einen Businessplan enthielt, sondern ein Projekt, das mir im Unterschied zu meiner jetzigen Arbeit, ein gutes Gefühl gegeben hätte.

Ich hatte schon immer ein großes Interesse an alter Architektur gehabt. Wahrscheinlich lag das an meiner Mutter, die Kunst und historische Gebäude liebte.

Einfluss darauf zu haben, wunderschöne Häuser, die heutzutage nicht mehr in dieser Art gebaut wurden, zu retten und zu renovieren, hätte mich erfüllt. Aber selbst meine Leidenschaft für dieses Projekt hatte die Investoren nicht überzeugt. Aber warum wunderte mich das? Gefühle waren ohnehin nur im Weg, insbesondere im geschäftlichen Bereich.

Erst die Hochzeit und jetzt das. Ich spürte wie die Wut wuchs, sich meiner Kontrolle entziehen wollte. Früher hätte ich ihr einfach freien Lauf gelassen und dieses Büro in Schutt und Asche verwandelt, heute jedoch kannte ich Mittel und Wege Herr über diese zu werden. Leider blieb mir keine Zeit von meinem üblichen Ventil Gebrauch zu machen, in einer Stunde würde nämlich meine Anwesenheit auf dem Diamond Date erwartet werden. Also wählte ich meine zweite Option – ich verbarrikadierte meinen Zorn zusammen mit meinen anderen Emotionen hinter einer Mauer.

 

***

 

Noch immer brodelte es unerträglich unter meiner Haut, während ich durch den vollen Veranstaltungssaal des Hotels lief. Ich schob meine Maske zurecht, die auf meiner Nase saß und zupfte an meinem silbernen Einstecktuch, das ich im Foyer überreicht bekommen hatte und nun meinen Smoking schmückte. Derweil musterte ich eingehend den Ballsaal. Im Gegensatz zu heute Morgen strahlte er nun vor Sauberkeit und war festlich dekoriert. Die Hotelangestellten und die Mitarbeiter der Gardner & Aubery Agentur hatten ganze Arbeit geleistet. Trotz der anfänglichen Probleme war alles glatt gelaufen. Jedoch war ich nicht hergekommen, um das Ergebnis zu überprüfen, nein, ich war als Gast hier.

Ich ließ meinen Blick über die unzähligen maskierten Frauen wandern, die auf der Suche nach der Liebe waren. Es war nicht mein erstes Diamond Date und obwohl ich kein Fan von Partnervermittlungen war, reizte mich diese. Die Diamond Dates brachten Abwechslung in meinen Alltag und ich hatte vor, mir die Flirtwilligkeit der weiblichen Gäste zu Nutze zu machen. Ein bisschen Zerstreuung nach diesen Höllenwochen könnte nicht schaden.

Ich bahnte mir den Weg durch Tüll, Seide und Samt und steuerte die Bar an. Ich bestellte mir einen Whisky und lehnte mich, sobald ich mein Glas in der Hand hielt, mit dem Rücken an den Tresen.

Von hier aus nahm ich das Aufgebot an Damen in Ruhe in Augenschein.

Die Masken erschwerten die Auswahl. Durch die verdeckte Augenpartie war es nicht leicht die Attraktiven von den Unattraktiven zu unterscheiden. Nichtsdestotrotz würde ich nicht auf meine Maske verzichten wollen.

Frauen, die mich kennenlernten, reagierten immer nur auf zwei Weisen auf mich. Entweder sie schmissen sich an mich heran, sobald sie wussten, dass ich eine gute Partie für sie wäre, oder sie begegneten mir mit Ablehnung, weil ich nicht den besten Ruf genoss.

Mit Maske aber blieb mir beides erspart und ich bekam von meiner Redepartnerin einen ungefilterten Eindruck.

In diesem Augenblick liefen zwei Frauen an mir vorbei, die mir beide einen intensiven Blick zuwarfen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, ihnen nachzulaufen, aber dann entschied ich mich noch auf Noah zu warten, der jeden Moment von der Toilette zurückkommen musste.

Reflexartig blickte ich hinauf zur Galerie, aber mein Kumpel war nirgends zu entdecken.

Stattdessen trafen meine Augen auf eine Frau in einem Samtkleid, die in der Art und Weise wie sie sich am Geländer festklammerte, sehr verloren wirkte.